Die Autorin des folgenden Artikels ist Absolventin der Deutschabteilung der Katholischen Fu Jen-Universität. Sie setzte ihr Studium in Deutschland fort, wo sie an der Universität Heidelberg das Hauptfach Deutsch als Fremdsprachenphilologie belegte. Nach ihrem erfolgreichen Abschluß kehrte sie nach Taiwan zurück und wurde 1981 in den diplomatischen Dienst aufgenommen. Von 1986 bis 1993 arbeitete Theresa Tang im Taipei Wirtschafts- und Kulturbüro Bonn, und seit ihrer Rückkehr ist sie wieder im Außenministerium tätig. Hier ist sie in der Europa-Abteilung für Deutschland betreffende Angelegenheiten zuständig.
Am 23. März 1996 ist der Staatspräsident der Republik China zum ersten Mal direkt vom Volk gewählt worden. Daß das kommunistische China zuvor Kanonen gegen Wählerstimmen einsetzen zu müssen glaubte, zeigt, wie realitätsfremd die Machthaber in Peking der taiwanesischen Gesellschaft gegenüberstehen. Realitätsfremd ist auch, wie sie unablässig behaupten, daß Taiwan eine Provinz der VR China sei. Wäre das so, dann hätten die Kommunisten die Verwaltungsgewalt über Taiwan.
Tatsache aber ist, daß die Volksrepublik China seit ihrer Gründung im Jahre 1949 nicht einen einzigen Tag Taiwan regiert hat. Tatsache ist, daß Länder, die Fragen von Politik, Wirtschaft oder Handel im Gebiet von Taiwan erörtern wollen, sich direkt an die Regierung der Republik China wenden müssen. Ihre Staatsbürger müssen bei den Botschaften oder Konsulaten bzw. Vertretungsbüro der Republik China im Ausland ein Einreisevisum beantragen, wenn sie in das Gebiet von Taiwan reisen wollen. Also: Die VR China übt hier keine Hoheitshandlungen aus und hat in der Vergangenheit auch nie Hoheitshandlungen ausgeübt. Trotzdem behauptet die VR China, Taiwan sei eine Provinz von ihr. Wenn da keine Täuschung und Selbsttäuschung ist, was dann!
Die Republik China wurde 1912 von Dr. Sun Yat-sen gegründet. Seitdem existiert sie, und sie verschwindet nicht einfach, nur weil sie nicht von allen Ländern anerkannt wird. Seit ihrer Gründung ist die Republik China ein souveränes, unabhängiges Land - daher hat sie es nicht nötig, sich noch einmal für unabhängig zu erklären.
Nicht zu leugnen ist, daß es eine Minderheit in der taiwanesischen Gesellschaft gibt, die anderer Auffassung ist, die nicht anerkennt, daß sie Chinesen und Bürger der Republik China sind. Sie plädieren für die Unabhängigkeit Taiwans von China. In einer freien demokratischen Gesellschaft ist dies nicht unvorstellbar. Die Regierung der Republik China hat aber eine ganz klare politische Linie für die nationale Entwicklung. Die grundsätzliche Position gegenüber Peking kann auf die Formel “ein China, zwei Gebiete, zwei politische Rechtsgebilde” gebracht werden.
Nach der Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949 zog sich die Regierung der Republik China nach Taiwan zurück und beschränkte ihr Verwaltungsgebiet auf Taiwan und die nahegelegenen Inseln. Seitdem erlebten beide Seiten der Taiwan-Straße eine Phase des militärischen Konflikts (1949-78), dann eine Stufe der friedlichen Konfrontation (1979-87), bis schließlich im November 1987 die Phase des Austauschs auf menschlicher Ebene begann. Allerdings verschlechterten sich diese Beziehungen, als sich die Regierung der Republik China 1991 für ihren Beitritt zu den Vereinten Nationen einzusetzen begann, weil das kommunistische China fürchtet, daß die gleichberechtigte Vertretung der Republik China eine Vereinigung verhindern wird.
Vom 30. Juli bis zum 8. August 1994 trafen die stellvertretenden Vorsitzenden der Organisationen für den Austausch beiderseits der Taiwanstraße, Chiao Jen-ho von der SEF für Taiwan (links) und Tang Shu-pei von der ARATS für Festlandchina, zu Gesprächen in Taipei zusammen.
Am Beispiel Deutschland ist zu ersehen, daß diese Befürchtung unbegründet ist. Außerdem teilen wir im Grunde mit dem kommunistischen China den Wunsch nach Wiedervereinigung. Beide chinesischen Staaten sind gegen die Unabhängigkeit Taiwans sowie gegen die “Zwei-China-Politik”. Beide erwarten eine Wiedervereinigung Chinas zu einem späteren Zeitpunkt. Wir denken allerdings, daß der Republik China bis dahin Spielraum in der internationalen Gemeinschaft gewährt werden soll, denn Außenbeziehungen sind für einen souveränen Staat unentbehrlich, besonders für einen wirtschaftlich auf Außenhandel und Export angewiesenen wie die Republik China.
Die Beziehung der beiden Seiten der Taiwan-Straße sollte auf einer friedlichen Koexistenz sowie gegenseitigen Respekt beruhen. Eine Wiedervereinigung wird leichtfallen, wenn die durch unterschiedliche Systeme hervorgerufenen Unterschiede in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und vor allem in der Mentalität verringert werden.
Im Jahre 1978 wurde auf dem Festland die Reformpolitik eingeführt. Sie hat Veränderungen in der Wirtschaft und in der Gesellschaft mit sich gebracht. In der Volksrepublik wird nicht mehr die Fahne des Kommunismus hochgehalten, sondern die des kapitalistisch ausgerichteten “Kommunismus sozialistischer Prägung”. Die Wirtschaft erlebt einen großen Aufschwung. Festlandchina gilt jetzt als größter Zukunftsmarkt der Welt. Wir begrüßen diese Entwicklung. Wir sind auch von ganzem Herzen bereit, unsere Erfahrungen vor allem in der Landwirtschaft mit unseren Landsleuten auf dem Festland zu teilen. Wir sind willens, der VR China bei ihrem kürzlich verabschiedeten 9. Fünfjahresplan (1996-2000) beizustehen, wie unser Premier Lien Chan am 6. Dezember 1995 ankündigte. Nach Auffassung vieler Wissenschaftler droht dem Festland bald ein Lebensmittel-Engpaß. 1995 mußte die VR China erstmals Reis und Getreide importieren. Wir bitten die großen Industrieländer, in ihren Hilfsprogrammen für die VR China zu berücksichtigen, daß Hilfe bei Nahrungsversorgung und Agrartechnologie allemal humaner ist als Hilfe bei Waffengeschäften und jeder anderen Form der Wirtschaftszusammenarbeit, denn ein hungriger Gigant wäre kein Glück für die Welt, sicher auch nicht für Taiwan.
In der Innenpolitik beharrt die VR China weiterhin auf der absoluten Führung der Kommunistischen Partei, dem Sozialismus, der Diktatur des Proletariats sowie der Anerkennung des Marxismus-Leninismus und der Gedanken Mao Tse-tungs. So wie die Bürger der BRD vor der Wende, will keiner der 21 Millionen Menschen auf Taiwan unter dem undemokratischen und freiheitsfeindlichen Regime der kommunistischen Parteidiktatur leben.
Der Kern der China-Frage ist die Frage der Freiheit. In wirtschaftlichen Fragen sind wir schon kompromißbereit, aber absolut kompromißlos in der Frage der Freiheit!
Wie bereits erwähnt, existieren gegenwärtig auf chinesischem Boden zwei Rechtsgebilde. Jedes hat seine eigene Regierung, seine eigene Gesetzgebung, seine eigene Gerichtsbarkeit, sein eigenes Volk. Keines ist dem anderen untergeordnet.
Nach der UN-Resolution 2758 nahm die VR China 1971 den Sitz für China ein. Die Republik China wurde zum Austritt aus den UN gezwungen. Seitdem ist die VR China Mitglied und vertritt in den UN die Bevölkerung Festlandchinas; die Rechte und Interessen der immerhin 21 Millionen Menschen auf Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu haben international keinerlei Vertretung, nur weil die Mehrheit der UN-Mitglieder nach dem “Entweder-oder”-Prinzip der VR China die Republik China nicht anerkennt, obwohl sie 1945 ein Gründungsmitglied der Vereinten Nationen war. Aber somit ist die Taiwan und das Festland betreffende “China-Frage” nicht gelöst. Wir fordern die Weltöffentlichkeit auf, sich dieser Problematik bewußt zu werden. Sie sollte nicht länger die Augen vor den Tatsachen verschließen und weiter behaupten: “Du existierst nicht, weil wir Dich nicht mögen dürfen!”
Träte die Republik China aufs neue den Vereinten Nationen bei, wäre damit nicht nur ein allgemeiner Wunsch der Bevölkerung der Republik China erfüllt. Es entspräche auch dem Allgemeinheitsprinzip der UN. Der gute Wille der Republik China, zu der Entwicklung der Länder der Dritten Welt und der VR China beizutragen, auf welche Weise auch immer, würde in dem großen Rahmen der UN auch besser zur Geltung kommen. Die UN böten auch den besten Platz für Kontakte und zum gegenseitigen Verständnis sowie für den Meinungsaustausch der beiden Seiten der Taiwan-Straße. Gegenseitiges Verständnis und Vertrauen sowie guter Wille vorausgesetzt, stünde nach einer Phase der Integration einer Wiedervereinigung der Nation nichts mehr im Wege. Nebenbei würde dadurch auch der Debatte um eine eventuelle Unabhängigkeit Taiwans der Boden entzogen. Wir halten das für eine den beiden Seiten gewinnbringende Lösung der “China-Frage”.
Bis dahin ist die derzeitige Teilung Chinas nicht unbedingt tragisch, denn sie gibt Gelegenheit zum friedlichen Wettbewerb und zum Vergleich zweier politischer Systeme auf chinesischem Boden. Im friedlichen Wettbewerb wird sich zeigen, ob ein demokratisches, pluralistisches, marktwirtschaftliches System für das ganze chinesische Volk nicht besser geeignet ist.